Exekutive Funktionen bei Kindern mit ADHS verstehen, fördern und stärken 

Vielleicht kennst du diese Situationen:
Das Kind vergisst Hausaufgaben, lässt sich leicht ablenken, reagiert impulsiv oder verliert schnell die Geduld.
Diese Herausforderungen haben nichts mit mangelnder Motivation zu tun, sondern mit der Reifung jener Gehirnprozesse, die Selbststeuerung, Planung und emotionale Kontrolle ermöglichen, nämlich den exektuiven Funktionen. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass Kinder mit ADHS häufig schwächer entwickelte exekutive Funktionen haben.

Der Alltag mit einem Kind mit ADHS kann sich manchmal anfühlen wie Jonglieren mit zu vielen Bällen; Aufmerksamkeit, Emotionen, Hausaufgaben, Struktur.
Während du versuchst, alles in der Luft zu halten, kämpft dein Kind innerlich damit, seine Gedanken, Impulse und Gefühle zu sortieren.

Es will, aber es kann oft noch nicht so, wie es möchte.
Nicht, weil es faul, trotzig oder unwillig ist, sondern weil ein Teil seines Gehirns, der für Selbststeuerung zuständig ist, noch in der Entwicklung steckt.

In diesem Beitrag erfährst du,
👉 was exekutive Funktionen genau sind,
👉 warum sie bei Kindern mit ADHS oft langsamer reifen,
👉 und wie du dein Kind liebevoll unterstützen kannst, seine Selbststeuerung Schritt für Schritt zu stärken.

Was sind exekutive Funktionen überhaupt?

Ganz vorne im Gehirn, direkt hinter der Stirn, liegt ein Bereich, der bei Kindern (und auch bei uns Erwachsenen) oft überfordert ist: der präfrontale Cortex. Er ist so etwas wie die Steuerzentrale für unsere „inneren Superkräfte“, also für das, was Fachleute exekutive Funktionen nennen. 
Dieser Bereich des Gehirns hilft uns dabei, vorauszudenken und zu planen, unsere Aufmerksamkeit zu lenken, Entscheidungen zu treffen, Impulse zu hemmen, unsere Gefühle zu regulieren und Probleme zu lösen.

Man kann es sich wie das innere Navigationssystem vorstellen, das dafür sorgt, dass Gedanken, Gefühle und Handlungen in dieselbe Richtung laufen. Immer dann, wenn wir nicht automatisch reagieren, sondern bewusst eine Entscheidung treffen, sind sie aktiv. Wenn diese Fähigkeiten gut funktionieren, fällt es Kindern (und uns Erwachsenen) leichter, aufmerksam zu bleiben, ruhig zu reagieren und Aufgaben zu Ende zu führen.

Zu den wichtigsten exekutiven Funktionen gehören:

  • Arbeitsgedächtnis: Informationen im Kopf behalten und damit arbeiten (z. B. eine Aufgabe merken)
  • Inhibition: Impulse kontrollieren, also nicht sofort das tun, was einem gerade in den Sinn kommt
  • Kognitive Flexibilität: Umdenken können, wenn sich etwas ändert, oder mehrere Perspektiven einnehmen
  • Planung & Organisation: Ziele setzen, Schritte planen und dranbleiben, sowie Prioritäten erkennen
  • Selbstregulation: Gefühle, Verhalten und Aufmerksamkeit steuern

Was die Forschung über ADHS und Selbststeuerung sagt

Diese Fähigkeiten entwickeln sich über viele Jahre und bei neurodivergenten Kindern oft in einem ganz eigenen Tempo. Das ist kein Zeichen von Unwillen, sondern von Reifung. Der präfrontale Cortex ist bei Kindern noch „im Aufbau“ wie eine Baustelle mit vielen Umleitungen. Und bei Stress, Müdigkeit oder Überforderung schaltet diese Schaltzentrale, auch bei Erwachsenen, gerne mal in den Notbetrieb. Aktuelle neuropsychologische Studien belegen, dass bei Kindern mit ADHS die Reifung des präfrontalen Cortex verzögert ist, also dass sie in der Entwicklung ihrer Selbststeuerung oft mehrere Jahre hinter Gleichaltrigen herhinken. Das bedeutet:

Der „Chef im Kopf“, welcher Verhalten steuert, ist bei Kindern mit ADHS einfach noch nicht so weit entwickelt. Ein jüngeres Geschwisterkind kann dadurch manchmal „reifer“ wirken, obwohl es jünger ist.

Das erklärt viele typische Herausforderungen von Kindern mit ADHS:

  • Schwierigkeiten, Handlungen zu planen oder dranzubleiben
  • Vergesslichkeit und Ablenkbarkeit
  • Impulsives Verhalten oder emotionale Überreaktionen
  • Schwierigkeiten im sozialen Miteinander

Diese Sichtweise verändert den Blick auf ADHS:
Statt Fehlverhalten zu sehen, erkennen wir eine Entwicklungsherausforderung in der Selbststeuerung und damit viele Möglichkeiten zur Unterstützung.

Wenn wir verstehen, dass Kinder mit ADHS ihre exekutiven Funktionen oft langsamer entwickeln, verändert das unsere Haltung:
Ein Kind, das scheinbar „nicht zuhört“, „träumt“ oder „etwas vergisst“, will nicht schwierig sein, es kann es neurologisch oft noch nicht anders.
Das Gehirn arbeitet nicht schlechter, sondern anders. Und das Schöne ist: Es kann lernen; Schritt für Schritt, mit Geduld, Struktur und Unterstützung.

So stärkst du die Selbststeuerung deines Kindes im Alltag

Exekutive Funktionen lassen sich trainieren, ähnlich wie ein Muskel! Mit gezielter Förderung können Kinder ihre Selbststeuerung Schritt für Schritt verbessern.

Hier einige bewährte Strategien aus meiner Coachingpraxis:

Klare Strukturen schaffen

Kinder mit ADHS brauchen feste Abläufe, Routinen und visuelle Hilfe. Verwende visuelle Pläne oder Piktogramme, damit dein Kind sieht, was als Nächstes kommt. Das schafft Sicherheit und Orientierung.

Kleine Schritte statt grosser Druck

Lieber drei kleine Aufgaben nacheinander fomrulieren als eine lange To-do-Liste. So bleibt das Kind motiviert und erfährt Erfolgserlebnisse. Statt „Räum dein Zimmer auf!“ lieber:

  • Leogo in die Kiste
  • Bücher ins Regal
  • Papier in den Paperkorb

Zeit sichtbar machen

Kinder mit ADHS haben oft kein gutes Zeitgefühl. Sie verstehen Zeit besser, wenn sie sie sehen können. Zum Beispiel: Eine Sanduhr beim Zähneputzen oder ein Timer beim Hausaufgabenstart. So entsteht weniger Streit und mehr Eigenverantwortung.

Emotionen benennen und regulieren

Wenn dein Kind wütend oder traurig ist, hilf ihm, Gefühle in Worte zu fassen („Du bist gerade richtig sauer, weil…“). So trainierst du emotionale Selbstregulation. Ebenfalls helfen Übungen aus der Achtsamkeitspraxis, sich selbst besser zu spüren und im Momemt zu sein. 

Belohnungssysteme nutzen

Kurze, klare Ziele mit kleinen Belohnungen (z. B. Sticker oder 5 Extra-Minuten Spielzeit) motivieren und helfen, dranzubleiben. Dies ist ein Motivationskick und schüttet Dopamin aus, welches dein Kind braucht, um an etwas dranzubleiben.

Emotionale Sicherheit

Kinder lernen besser, wenn sie sich verstanden fühlen. Wertschätzung und Geduld sind das Fundament jeder Entwicklung. Besprecht zusammen kleine Erfolge  (z. B. „Heute habe ich 10 Minuten fokussiert gelernt!“). Das stärkt Motivation und Selbstwert.

Spielerisches Training

Spiele wie „Ich sehe was, das du nicht siehst“ oder „ich packe in meinen Koffer“ sind nicht nur Zeitvertreib. Sie trainieren ganz nebenbei Aufmerksamkeitssteuerung und Impulskontrolle und Gedächtnis, also genau jene exekutiven Funktionen, die bei ADHS geschwächt sind. Auf https://www.kispisg.ch/downloads/kompetenzen/neuropsychologie/foerderung-und-erhaltung-von-hirnfunktionen-mit-gesellschaftsspielen.pdf gibt es ganz viele Spielideen.

Pausen einplanen

Kinder mit ADHS brauchen mehr Regenerationszeiten. Kurze Pausen zwischen Aufgaben helfen, das Gehirn wieder „aufzuladen“. In meinen Coachings zeige ich den Kindern Übungen aus BodynBrain, die sie als Bewegungspause nutzen können. Diese machen Spass, entspannen das Gehirn und fördern gezielt jene Synapsen, die für exekutive Funktionen besonders wichtig sind.

Wenn-Dann-Pläne & Selbstinstruktion

„Wenn ich 10 Minuten lese, dann darf ich nachher 5 Minuten spielen“ oder immer wenn ich von der Schule nach Hause gehe, schaue ich in den Schulthek, ob ich alles dabei habe.“ Solche Wenn-Dann-Pläne helfen deinem Kind, sich selbst zu steuern und können motivieren, um an einer Sache dranzubleiben.

Selbstgespräche als Werkzeug

Hilf deinem Kind, innere Selbstgespräche zu entwickeln: „Ich mache zuerst das, dann darf ich…“ oder „Ich bleibe ruhig, auch wenn ich gerade wütend bin.“ Das stärkt die Selbstregulation und hilft, Impulse zu kontrollieren.

Fazit: Exekutive Funktionen sind der Schlüssel zum Verstehen von ADHS

Wissenschaft und Praxis zeigen klar: Viele ADHS-Symptome lassen sich auf schwächer entwickelte exekutive Funktionen zurückführen. Wenn Eltern, Lehrpersonen und Bezugpersonen dies wissen, ändert sich der Umgang: Weg von Vorwürfen, hin zu Verständnis, Struktur und gezieltem Training und dadurch entsteht oft ein Wendepunkt: Nicht mehr gegen das Verhalten kämpfen, sondern das Gehirn unterstützen, das gerade lernt, sich selbst zu steuern

Vergiss nie: Dein Kind will, auch wenn es manchmal noch nicht kann. Mit Verständnis, Struktur und liebevoller Begleitung kann es lernen, seine inneren Superkräfte zu nutzen, auf seine ganz eigene Art.

Und das Beste: Das Gehirn kann lernen! Der präfrontale Cortex bleibt formbar bis ins junge Erwachsenenalter.

Mit gezieltem Training, Struktur und emotionaler Unterstützung können Kinder neue neuronale Verbindungen aufbauen und so ihre exekutiven Funktionen Schritt für Schritt stärken. ADHS ist nicht nur eine Herausforderung. Es ist auch eine andere Art, die Welt zu erleben und oft auch eine besondere Begabung: Kinder mit ADHS sind oft kreativ, spontan, empathisch und energiegeladen und denken oft ausserhalb der gewohnten Bahnen. Wenn sie ihre exekutiven Funktionen trainieren, können sie ihr volles Potenzial entfalten.

Unterstützung für Eltern und Kinder

Als ADHS-Coachin für Kinder unterstütze ich dabei, die exekutiven Funktionen spielerisch zu fördern und den Familienalltag zu entlasten. Gemeinsam entdecken wir die Stärken deines Kindes und wie ihr sie im Alltag einsetzen könnt. Schritt für Schritt in seinem Tempo. Wenn du dir mehr Leichtigkeit im Alltag wünschst, begleite ich euch gerne, mit Herz, Struktur und spielerischer Förderung.

👉 Mehr über mein Coaching-Angebot: 🔗 www.schatzsuche-coaching.ch

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